Körper aus Zahlen -
          Digitale Bildgebung
          in der Medizin und
          ihre Implikationen

      Tagung unter der Leitung von Dr. Harun Badakhshi, Humboldt-
      Universität zu Berlin, Charité-Medizinische Fakultät
      1. November 2002, 10.00-15.30

      Humboldt-Universität, Hermann von Helmholtz-Zentrum für Kulturtechnik,
      Raum 3031 Anmeldung: harun.badakhshi@charite.de

      Der Fokus der Tagung richtet sich auf die technische Herstellung von Körper-
      bildern in der Medizin und deren allgemeine epistemologische und kulturelle
      Wirkungen. Als medizinische Visualisierung soll in diesem Zusammenhang ein
      Bündel von Strategien und Technologien befragt werden, in dessen Rahmen
      seit genau drei Dekaden geregelte Verfahren zur Erzeugung von visueller
      Erfahrung eingeführt, angewandt und verbreitet worden sind. Neben den
      spezifisch innerfachlichen Inskriptionen der medizinischen Visualisierung,
      die nachhaltig zur einer Neuordnung des Wissens geführt haben, ist heute
      davon auszugehen, dass sie auch auf der Ebene der Kultur und ihrer inhä-
      renten Techniken ästhetische und semantische Spuren hinterlassen hat, die
      es zu detektieren gilt. In diesem Sinne werden von dieser Zusammenkunft
      Überlegungen zur »visuellen Kultur« der Wissenschaften und der Gesell-
      schaft erwartet. Es geht somit darum, Basis und Hintergründe einer wissen-
      schaftlichen Praxis sowie die Vielfalt ihrer routinemäßigen Anwendungen so
      darzulegen, dass ihre epistemischen und kulturellen Funktionen zugänglich
      werden und ihre Wechselwirkungen mit anderen Wissensfeldern als Inte-
      gration oder Differenzierung wahrgenommen werden können.

      Schwerpunkte Digitaltechnologien zur Bilderzeugung und -verarbeitung prä-
      gen und bestimmen heute die medizinische Praxis. Sie entfalten ihre Wirkun-
      gen in verschiedenen Bereichen der klinischen Routine, wobei viele Maß-
      nahmen und Interventionen durch sie unterstützt oder erst ermöglicht werden;
      sie verändern zunehmend die Grundlagen des Verständnisses und des Zu-
      ganges zum Körper. Die medizinische Visualisierung beeinflußt damit sowohl
      die Ordnung des Wissens in der Medizin hinsichtlich epistemischer und kog-
      nitiver Formationen als auch die Formen ihrer medialen Darstellung. Die neuen
      Räume des Wissens entstanden durch vielfältige und vielseitige Beziehungen
      zu anderen wissenschaftlichen Feldern, welche nicht nur in Begriffen einer
      statischen Wissenschaftsgeschichte zu fassen sind, sondern eher durch ihr
      dynamisches Zusammenwirken charakterisiert werden sollen. Besondere
      Aufmerksamkeit verdient in diesem Kontext die Mathematik, da sie zum einen -
      als Software - mit ihren Theorien die symbolische Wiederherstellung des Kör-
      pers überhaupt denkbar macht (Fourier, Radon, Bracewell, Cormack) und zum
      anderen - als Hardware - in der Form universalen Turingmaschinen die Quan-
      tifizierung des Körpers und das Berechnen seiner Bildern ermöglicht. Das
      »maging« des Körpers in den Maschinenräumen der Klinik spiegelt die Domi-
      nanz der Ziffern in der Kultur.

      Ein weiterer wichtiger Aspekt der medizinischen Visualisierung ist ihre me-
      #diale Funktion und Bedingtheit. Vor allem zu erwähnen ist, dass der Com-
      puter als Medium die Grundvoraussetzung der Digitalscanner Computer-
      tomographie (CT) und Magnetresonanztomographie (MRT) ist; nur durch
      ihn wurden solche Maschinen denkbar und konstruierbar. Heute wird, wie
      wir es in den Vorträgen hören werden, in den Bild-Laboratorien ein kaum
      noch überschaubares Spektrum an »graphic operations« implementiert,
      das in keiner Weise mit den vorgängigen analogen Geräten der Diagnostik
      verglichen werden kann. Die mediale Vermittlung erzeugt funktionelle Ein-
      heiten im Wissen um den Körper, die Art und Weise des Erwerbes, der
      Speicherung und der Verbreitung dieses Wissens grundlegend verändert
      haben. Nach Michael Wetzel läßt sich die mediale Konstruktion der Realität
      nicht rein auf das Funktionieren apparativer Übertragung beschränken; sie
      stellt sich hinsichtlich ihrer Überdeterminiertheit und vor allem ihrer Verän-
      derbarkeit, ihrer historischen Konjunkturen und Paradigmenwechsel als ein
      Dispositiv dar. Damit wird nicht nur der transzendentalen Orientierung von
      Repräsentation als Bereitstellung, als multifaktoriellem Komplex eines sy-
      stematischen Engineerings Rechnung getragen, sondern auch der virtuelle
      Charakter der Spurensicherung wird deutlicher.

      Die Implikationen der medizinischen Bilderzeugung und -verarbeitung für die
      Bilddiskurse sind ein ebenfalls sehr attraktives Thema in den aktuellen Dis-
      kussionen. Allerdings erweist sich das Feld als schwer zugänglich, und
      dies nicht nur wegen fehlender Vorarbeiten und methodischer Probleme,
      sondern auch wegen der unvermeidlichen Berührung mit einer sich verän-
      dernden Bildwissenschaft, die aber diesen wesentlichen Raum der visuellen
      Erfahrung nur sehr zurückhaltend berührt. Die Tagung soll hier einen Beitrag
      zur Systematisierung der Diskussion und zur Methodenbildung leisten.

        Teilnehmer

      Dr. Christina Lammer Universität Wien Institut für Wissenschaftstheorie
      und Wissenschaftsforschung
      Dr. Frank Wübbeling Universität Münster Institut für Numerische und
      instrumentelle Mathematik
      Dr. Oliver Grau Humboldt-Universität Berlin Kunsthistorisches Seminar
      PD Dr. Arne-Jörn Lemke Humboldt-Universität Medizinische Fakultät -
      Universitätsklinikum Charité Abteilung Röntgendiagnostik
      PD Dr. Wolfgang Ernst Gastprofessor an der Fakultät für Medien,
      Bauhaus-Universität Weimar
      PD Dr. Wolfgang Hagner Max-Planck-Institut für Wissenschaftsge-
      schichte, Berlin
      MA Stefan Heidenreich Humboldt Universität Institut für Kulturwissen-
      schaft DFG-Projekt »Geschichte und Systematik der digitalen Medien«
      Dr. Mathias Schroeter Max-Plank-Institut für Neuropsychologie, Leipzig
      Dr. Martin Scholz Humboldt-Universität zu Berlin Medizinische Fakultät -
      Universitätsklinikum Charité Physikabteilung- Klinik für Strahlentherapie
      Dr. Harun Badakhshi Humboldt-Universität zu Berlin Medizinische Fakultät -
      Universitätsklinikum Charité