Nach
dem (fast schon vergessenen) »Ende der Geschichte«, dem Aus-
- fransen
des Postmodernismus und der zweitweisen Erstarrung der »eine-
- andere-Welt-ist-möglich«-Bewegungen
im Angesicht des kataklysmischen
- Kollapses
der Stahlträger der Old- und New-Economy - nach alldem ist
- Utopie
ja gegenwärtig wieder hoch im Kurs. Ganz anti-zyklisch und im
- gegenläufigen
Trend zu den meisten Aktien tummelt sie sich mittlerweile
- in
fast allen Ecken der theoretischen Diskurse.
Aber
das ist ja nicht schlecht -"... the question of Utopia would seem
to be
- a
crucial test of what is left of our capacity to imagine change at all"
- (Frederic
Jameson)
Also
für alle die interessiert sind hier ein weiteres Angebot zur Reflexion
- des
Unverorteten der Gegenwart.
oliver
lerone schultz
***
Utopische
Körper
Call
for papers für Tagung an der Volksbühne am 23-25. Mai 2003 veran-
- staltet
vom Graduiertenkolleg 'Körper-Inszenierungen' der FU Berlin in Ko-
- operation
mit der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, Berlin
Utopia
als Nichtort widerspricht der Kategorie des Körpers - bezeichnet die
- Utopie
doch eine Gegenwelt im Nirgendwo, der Körper hingegen einen Ort,
- den
wir durch unsere eigene Erfahrung in der Welt für vertraut halten.
Ge-
- meinsam
scheint beiden nur zu sein, daß es mit ihnen zu Ende geht. Ange-
- sichts
realer Dystopien des 20. Jahrhunderts geriet das politische utopische
- Denken
zunehmend außer Kurs. Dem seit 1989 immer lauter ausgerufenen
- »Ende
der Utopien« läßt sich die Rede vom Verschwinden des Körpers
zur
- Seite
stellen. Zugleich melden sich in der Debatte über den »Posthumanis-
- mus«
Stimmen, deren utopischer Grundton unüberhörbar ist: Im Cyberbody
- wird
die Überwindung des antiquierten Psychobody gesehen. In diesen Aus-
- einandersetzungen
wird aber deutlich, in welchem Maße Zukunftstechnolo-
- gien
- von der Virtualisierung bis zur Biotechnologie - am Körper ausgetragen
- werden.
Die Utopie besetzt den Körper als ihren Ort. Abseits technologischer
- Zukunftsvisionen
zeugen gegenwärtige Gesellschaftspraxen längst vom Ein-
- wandern
der Utopie in den Körper. War das Kriterium der Utopie bislang ihre
- Unrealisierbarkeit,
so konkretisieren sich utopische Körper in kosmetischen,
- pharmazeutischen
und chirurgischen Zugriffen. Oder sind Körperutopien im
- Zeitalter
ihrer Virtualisierung und Visualisierung in Bildmedien und bildgeben-
- den
Verfahren vor allem Körperbilder? Wie ging die Vorstellung von der
Per-
- fektibilität
des Menschen auch historisch mit der Planung perfektionierter
- Körper
einher? Welche Rolle spielt der Körper in Heterotopien von der Pha-
- lanstère
über Geheimgesellschaften bis hin zu Projekten gemeinschaftlichen
- Lebens,
in denen Utopien im »Kleinen« realisiert werden? Welche Wechsel-
- wirkungen
bestehen etwa zwischen den Vorstellungen von Körperfunktio-
- nen
und der Erforschung von Arbeits- und Lebensabläufen (Arbeitsökono-
- mien,
Architekturen, Ergonomik, Biorhythmen)? Mit den folgenden Schwer-
- punkte
möchte die Tagung das Verhältnis von Körper und Utopie untersu-
- chen:
Aufrüstungen
des Körpers in Form von Spitzensport, Fitness und
- Wellness
basieren insofern auf einer utopischen Struktur, als die Körper
- immer
noch schneller, stärker schöner oder schlanker werden müssen.
- Folgen
die Körperpraktiken in Hochleistungsdoping, Risiko- und Extremsport
- sowie
der Fitness-Bewegung einer vermeintlich individuellen Utopie, die ob-
- solet
gewordene gesamtgesellschaftliche Entwürfe ersetzt? Ist die tatsäch-
- liche
Leistungsfähigkeit der Körper oder der Anschein einer solchen
ent-
- scheidend
? Welche Bedeutung kann in Zukunft ein Körper haben, der nicht
- durch
sportliches Training zugerichtet ist?
In
keinem Bereich scheint der neue Mensch so machbar wie in der
- Biotechnologie.
Dabei reagieren ihre Versprechungen nicht nur auf vermeint-
- liche
Leerstellen medizinischer Forschung, sondern speisen sich immer auch
- aus
utopischen Wunschvorstellungen, die sich häufig von konkreten Proble-
- men
gelöst haben. Welche utopischen Körperbilder und gesellschaftlichen
Ent-
- würfe
stehen hinter den medizinischen Heilsversprechen der Biotechnologie?
In
»theoretical fictions«, dem Konvergenzraum wissenschaftlicher
- Projektionsfelder
und ästhetischer Inszenierungen des Künftigen, wird indirekt
- am
Utopischen gearbeitet. Existieren neben einer Vorherrschaft des Dysto-
- pischen
(etwa der Cyberpunk im Science Fiction) und eines an szientistischen
- Imaginationen
orientierten »Posthumanismus« kulturelle Spielräume lebendiger
- Körperlichkeit?
Tragen ästhetische und theoretische Körperinszenierungen
- gerade
durch den Kontakt mit Dystopie und Technologie Momente einer »kri-
- tischen
Utopie« in sich?
Ästhetische
Gegenwelten antizipieren technologische und wissen-
- schaftliche
Errungenschaften, exponieren ihren utopischen Gehalt und ihre
- gesellschaftlichen
Auswirkungen. Welchen künstlerischen Entwürfen gelingt
- es,
sich den »mythopischen« Körper- und Lebensverbesserungsangeboten
- zu
widersetzen und welche schöpfen immer neue Moden, aus denen die
- Werbeindustrie
ihr nächstes Branding speisen kann?
Erstaunlicherweise
ist die Utopie des Urlaubs - samt ihrer omniprä-
- senten
Bilderwelten - die alltäglichste und gleichzeitig am wenigsten er-
- forschte.
Warum setzt das Glücksversprechen der unbegrenzten Freiheit
- alljährlich
600 Millionen Menschen in Bewegung, die sich paradoxerweise
- am
Ort des Heils einem körperdisziplinierenden »Urlaubsfaschismus«
unter-
- werfen?
Welche Praktiken werden während des »learning to be a tourist«
- entwickelt
, um den Körper für den Alltag leistungsbereit zu halten, und
in-
- wiefern
liefern die imaginären »andscapes and mindscapes« der
Künste
- den
Urlaubsparadiesen ihre Vorbilder?
Der
pornographische Körper ist nicht nur durch seine Verortung im
- Imaginären
, sondern auch durch die an ihm ausgetragene, nicht stillzustel-
- lende
Lust an der Wahrheit der Sexualität mit dem Begriff des Utopischen
- verknüpft.
Wie hängt das Utopische, das sich im Gegensatz zu religiösen,
- eschatologischen
Vorstellungen durchaus im Diesseitigen verortet, aber
- doch
wesentlich unwirklicher Raum bleibt, zusammen mit der prekären Dia-
- lektik
von Authentizität und Inszenierung im pornographischen Genre?
Abstracts
(300 Wörter) für Vorträge (20 min) können bis zum 15.
November
- 2002
an folgende Adresse geschickt werden: utopische-koerper@gmx.net